KomplementärTherapie als Gesundheitsberuf

15.12.2020 09:47:58 | Vivabalance, Monika Knecht

KomplementärTherapie als Gesundheitsberuf

Interview mit Sabine Bannwart, Präsidentin der Shiatsu Gesellschaft Schweiz (SGS)

Die KomplementärTherapie hat in den letzten Jahren als Ergänzung zur Schul- und Alternativmedizin im Schweizer Gesundheitssystem an Bedeutung gewonnen. Dieser Beruf, dem eine langjährige und fundierte Ausbildung zugrunde liegt, wirft spannende Fragen zu seiner Verortung im Gesundheitssystem, zu seinen Chancen und Grenzen auf.

Wie wird man heute KomplementärTherapeutIn?
Shiatsu-TherapeutInnen gibt es in der Schweiz schon seit 40 Jahren. Mit der Abstimmung 2009 wurde die Berücksichtigung der Komplementärmedizin in die Verfassung aufgenommen, was die breite Akzeptanz für alternative Heilmethoden in der Bevölkerung widerspiegelte. Damit wurden auch die Grundlagen für einen eidgenössischen Diplomabschluss für KomplementärTherapeutInnen geschaffen. Als Organisation für die Entwicklung der nationalen Standards für die Höhere Berufsbildung und die Durchführung der Höheren Fachprüfung wurde die OdA KT gegründet, welche die Interessen aller KT-Berufsverbände vertritt. KomplementärTherapie ist nicht eine bestimmte Methode, sondern umfasst aktuell 20 verschiedene anerkannte Methoden – eine davon ist Shiatsu. Allen Methoden ist gemeinsam, dass sie auf den Prinzipien der Berührung, Bewegung, Energie und des Atems beruhen.
Der eidgenössische Abschluss wurde 2015 eingeführt. Zuerst wird eine mindestens 3-jährige berufliche Ausbildung an einer anerkannten Schule absolviert. Für Shiatsu gibt es in der Schweiz sieben Schulen. Mit 500 Kontaktstunden in der Methode, sowie 340 Kontaktstunden in den Bereichen berufsspezifische, sozialwissenschaftliche und medizinische Grundlagen (Tronc Commun) ist die Ausbildung sehr umfangreich. Einschliesslich Selbststudium und Praktikum umfasst die Shiatsu-Ausbildung rund 2660 Lernstunden. Die Methodenausbildung kann mit dem «Branchenzertifikat OdA KT» abgeschlossen werden.
Nach dieser Grundausbildung braucht es Berufserfahrung. Wer diese über mindestens zwei Jahre in Begleitung mit Supervision nachweisen kann, wird zur höheren Fachprüfung (HFP) zugelassen und kann das «Eidgenössische Diplom KomplementärTherapeutIn» erlangen.

Wie fügt sich die KomplementärTherapie in die medizinische Landschaft der Schweiz ein? Was unterscheidet die KomplementärTherapie von der Schulmedizin? Was verbindet sie?
KomplementärTherapie versteht sich als Ergänzung zur Schul- oder Alternativmedizin. Zum einen unterscheidet sich das Fachwissen der Disziplinen. So sind KomplementärTherapeutInnen weder berechtigt noch dazu ausgebildet, eine schulmedizinische Diagnose zu stellen, Medikamente abzugeben oder hautverletzende Handlungen vorzunehmen. Sie erheben stattdessen einen methodenspezifischen Befund, erfassen den Menschen ganzheitlich und sind in der Lage, mittels Berührung, Bewegung, Atem- und Energiearbeit sowie dem begleitenden Gespräch Impulse zur Heilung zu geben. Das Ziel ist es, den Menschen in seiner Selbstregulation und seiner Selbstwahrnehmung und damit in seiner Genesungskompetenz zu stärken.
Shiatsu-TherapeutInnen sehen häufig KlientInnen mit Beschwerden wie Kopf- und Rückenschmerzen, Migräne, Verdauungs- und Schlafstörungen sowie Erschöpfungszuständen. Oft kommen KlientInnen auch nach Unfällen oder Operationen in die Praxis. Auch bei Veränderungsprozessen wie Schwangerschaft, Menopause oder Rehabilitation nach einer Krankheit wird gerne komplementärtherapeutische Begleitung in Anspruch genommen.
Im Idealfall arbeiten KomplementärTherapeutInnen mit anderen involvierten Fachpersonen zusammen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit ÄrztInnen und anderen TherapeutInnen wirkt sich oft sehr positiv auf die Behandlung aus.

Wie ist der Begriff der Ganzheitlichkeit in der KomplementärTherapie zu verstehen und welches Menschenbild liegt der Therapie zugrunde?
KomplementärTherapeutInnen gehen davon aus, dass jede Person über eine natürliche Anpassungsfähigkeit und das Potential zur Persönlichkeitsentwicklung verfügt und bestrebt ist, ihre körperlichen, seelischen und geistigen Möglichkeiten zu entfalten.
In der KT wird der Mensch als untrennbare Einheit von Körper, Geist und Seele verstanden. Alle Aspekte des Menschseins werden bei unseren Behandlungen berücksichtigt und angesprochen. Mittels Berührung arbeiten wir mit dem Körper der KlientInnen. Das begleitende Gespräch spricht den Geist an und soll die Selbstwahrnehmung und die Selbstreflexion unterstützen. Die nonverbale Kommunikation über die Berührung, das Gespräch und das präsente Dasein mit dem Klienten unterstützen die Seele in ihrem Genesungsprozess.
Das Menschenbild der KomplementärTherapie drückt sich auch in ihren Gestaltungsprinzipien aus. Mit Gestaltungsprinzipien meinen wir die persönliche Beziehung, die empathische Begegnung auf Augenhöhe, den gleichberechtigten Dialog und das Prinzip der positiven Erfahrung, dass wir etwas bewirken können. Dazu gehört auch, dass wir den Fokus auf die vorhandenen oder neu zu entdeckenden Ressourcen lenken und uns an möglichen Lösungen orientieren. All dies stets mit dem Ziel, die seelische Kraft, die Stabilität und die Flexibilität der KlientInnen zu fördern. Auch das Verstehen und Einordnen der eigenen Lebenssituation und die Entwicklung des Selbstvertrauens, diese meistern zu können, sind wichtige Elemente des Genesungsprozesses, welchen wir in der KomplementärTherapie begleiten.
Der Fokus der KomplementärTherapie liegt klar auf den Möglichkeiten und nicht auf den Defiziten und Problemen der KlientInnen. Das Ziel ist immer, das Gesunde im Menschen zu stärken.

Wo liegen die Grenzen der KomplementärTherapie?
Wie oben erwähnt, stellen KomplementärTherapeutInnen keine medizinischen Diagnosen und geben keine Medikamente ab, auch keine natürlichen. Wir verzichten auf hautverletzende Therapiemethoden. Für uns sind die Körperarbeit und die Berührung zentral. Diese werden durch ein begleitendes Gespräch ergänzt. Unsere Instrumente sind unsere Hände, Ellbogen und Knie, die Erfahrung und die Offenheit als TherapeutIn.
Oft kommen KlientInnen nach einer ärztlichen Abklärung zu uns. Wenn wir im Lauf der Behandlung jedoch eine Erkrankung vermuten, die weiterer medizinischer Behandlung bedarf, empfehlen wir den KlientInnen, Kontakt mit ihrem Arzt/ihrer Ärztin aufzunehmen. Die schulmedizinische Grundausbildung der KomplementärTherapeutInnen ermöglicht es ihnen, jemandem, wenn nötig, eine schulmedizinische oder psychiatrische Behandlung zu empfehlen.
KomplementärTherapeutInnen sind angehalten, neben ihren Erfahrungen auch die eigenen Grenzen und Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Regelmässige Super- und/oder Intervisionen unterstützen dabei, sich selbst und die eigenen Kenntnisse besser einzuschätzen und schwierige Arbeitssituationen mit der Unterstützung anderer Fachpersonen zu analysieren und zu bewältigen.

Wie ist dein Ausblick in die Zukunft der KomplementärTherapeutInnen?
Wir begrüssen und unterstützen die Professionalisierung des Berufes sehr. Seit 2015 haben über 1120 TherapeutInnen das eidgenössische Diplom erlangt, davon rund 271 in der Methode Shiatsu. Wir beobachten, dass Methoden der KomplementärTherapie immer öfter von Ärztinnen und Ärzten empfohlen werden und dass es bereits erste Kliniken und Spitäler gibt, welche im Rahmen von Therapien auch komplementärtherapeutische Behandlungen anbieten. Somit wird es künftig neben den Praxen hoffentlich vermehrt Angebote komplementärer Therapiemöglichkeiten geben. Diese zunehmende Zusammenarbeit zur Förderung der Gesundheit der Menschen freut uns sehr.

Der Beitrag KomplementärTherapie als Gesundheitsberuf erschien zuerst auf Shiatsu Gesellschaft Schweiz.